Fahren Sie mit Vollgas auf der Überholspur oder stehen Sie schon auf dem Pannenstreifen?
Tempo, Termindruck, Arbeitslast haben viele an die Grenze dessen gebracht, was Menschen verkraften können. Menschen leiden an Erschöpfung, Schlafstörungen, chronischen Kopfschmerzen, Burn-Out, Depressionen = Stresskrankheiten. Sie nehmen nicht erst seit der Pandemie zu.
Jahrelang galt für viele, es kann nicht zu viel Arbeit oder Druck geben, nur wie man damit umgeht und wie man sich damit organisiert, ist falsch. Dieses Kultivieren von Tempo und Leistung, hat ausser Acht gelassen, dass die Faktoren, die Menschen wirklich stressen und ausbrennen lassen, wenig mit Arbeitslast zu tun haben, sondern mit Sinnhaftigkeit, Zusammenarbeit und der Selbstbestimmung in der Arbeit und im Leben.
Trotz aller Tools und Techniken, die helfen, den beruflichen und privaten Alltag «im Griff zu haben», wird der Stress für viele immer grösser. Viele Menschen kommen mit den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr klar. Was sind die Auslöser? Wer sind die Verantwortlichen? Was ist die Ursache Nr. 1?
Manche leisten mehr als andere – ohne Stress. Manche scheinen jedes Tempo mitgehen zu können. Sie bringen permanent Leistung, erreichen immer ihre Ziele, bleiben stets gelassen und behalten den Überblick. Und sie bekommen nie im Leben eine Sinnkrise oder ein Burn-out. Da stellt sich die Frage: Liegt das wirklich an der zeitlichen Organisation? Aus meiner Erfahrung – Nein. Eine Einsicht, die ich bei mir selbst und in vielen Beratungen und Coachings feststellen durfte.
Die alten Methoden haben ausgedient
Wollen wir von der Überholspur nicht auf dem Pannenstreifen landen, lohnt es sich, unsere Einstellungen zur Arbeit, zur Arbeitsorganisation zu prüfen. Es lohnt sich auch, einen Blick auf den Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und unserem Leben zu werfen. Wer von Stress und Burn-out geplagt ist, braucht primär keine Techniken zur Selbstorganisation. Er oder sie braucht einen sensiblen und geschärften Blick für die Sinnhaftigkeit und die Steuerungen in der eigenen Arbeit, in den Beziehungen und im eigenen Leben. Und last but not least: er oder sie braucht den Zugang zur eigenen inneren Stimme und den Mut, diese wieder wahrzunehmen. Nur wer den Mut hat, sein Leben selbst an die Hand zu nehmen und Prioritäten nach eigenen Bedürfnissen und Überzeugungen zu setzen, kann uneingeschränkt über seine Ressourcen verfügen.
Mit diesen Überlegungen meine ich nicht, dass sofort der Job gekündigt, in den Tag hineingelebt oder ausgewandert werden soll. Auch kann und will nicht jede:r eine Führungsposition übernehmen und dadurch möglicherweise mehr Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeit gewinnen.
Wenn die Arbeit einen belastet und die Möglichkeiten des Zeitmanagements und der Arbeitsorganisation nicht mehr ausreichen, um den Stress in den Griff zu bekommen, hilft ein Blick in eine andere Richtung:
- Wie erledige ich meine Arbeit? Mit Hingabe? Weil ich muss?
- Arbeite ich nach meinen Prinzipien und meinen Prioritäten?
- Kann ich selber bestimmen, wie ich bei meiner Arbeit vorgehe?
- Gehe ich verantwortungsvoll mit meinen Aufgaben und mit meinen Ressourcen um?
- Wie gut kenne ich meine Bedürfnisse und wie schaue ich darauf?
- Kenne ich meine innere Stimme? Wie nehme ich Sie wahr? Kritisch? Antreibend? Wohlwollend?
- Tue ich meine Arbeit im Bewusstsein, um meine eigene Grundrichtung, meine eigene Melodie?
- Wie steht es in meinem Leben mit der Balance zwischen meiner Arbeit, meiner Familie, Beziehungen und meiner persönlichen Zeit?
Ihre Bilanz?
Wie sieht Ihre Bilanz aus, wenn Sie Ihre Lebens- und Arbeitssituation betrachten?
Nehmen Sie viel Übereinstimmung zwischen Ihrer aktuellen Tätigkeit und dem, wie Sie’s gerne hätten wahr? Fühlen Sie sich dabei zufrieden und am richten Ort? Freuen Sie sich darüber. Es scheint, dass Sie auf Ihrer Normalspur unterwegs sind und die Wahl haben.
Oder stehen Sie eher auf der Seite, wie es einst Götz Werner, gesagt hat:
„Grosser Stress entsteht, wenn man etwas macht, das einem nicht entspricht, wenn man mit Aufgaben konfrontiert ist, mit denen man sich nicht innerlich verbinden kann.“
Wie stressvoll Sie Ihre Situation auch immer wahrnehmen, es lohnt sich zu prüfen, was Sie verändern können, bevor Sie auf der Überholspur die Bremse nicht mehr finden oder auf dem Pannenstreifen stehen und nicht mehr weiterkommen.
Wenn wir fremde Ziele zu unseren machen,
entsteht auf Dauer ungesunder Stress.