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Scham – schämen – beschämen

Ihnen ist es möglicherweise auch schon passiert, dass Sie am liebsten vor Scham im Boden versunken oder sich sonst wie unsichtbar gemacht hätten. Scham ist ein Gefühl mit vielen verschiedenen Facetten, dass offenbar zu uns Menschen gehört und viele von uns gut kennen. Empfinden wir Scham, nehmen wir einen Teil von uns wahr, den wir vor anderen verbergen möchten.

Scham – eine kurze Beschreibung

Scham ist an sich ein natürliches Gefühl, wie Liebe Wut oder Trauer. Wer sich schämt, empfindet etwas, das man sieht oder hört, als unangemessen. Scham ist eine Emotion, die wir empfinden, wenn wir das Gefühl haben, dass wir ungenügend sind.

Wer sich schämt, erfährt körperliche Reaktionen, wie erröten, schwitzen, Herzrasen, stottern, Schwindel, Muskelverspannungen usw.
Scham kann unterschiedlich lange andauern und unterschiedlich intensiv wahrgenommen werden. Von flüchtig bis dauerhaft und von leicht bis abgrundtief. Sie wie auch ich arbeiten in Ihrem Berufsalltag mit Menschen und für Menschen. Da Scham ein Gefühl ist, dass in jeder zwischenmenschlichen Begegnung stattfinden kann, ist es hilfreich, dieses Gefühl zu erkennen, zu verstehen und damit auch umgehen zu können.
Scham ist nicht das gleiche wie Beschämung. Scham ist ein Gefühl, dass jede und jeder aus dem inneren Erleben erfährt. Beispielsweise schämt sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, weil ihr oder ihm ein Fehler unterlaufen ist. Beschämung kommt von aussen. Einen anderen Menschen zu beschämen, kann durch blossstellen, verhöhnen, verachten, herabsetzen, ausgrenzen usw. geschehen.

Gespeicherte Erfahrungen

Scham zu erleben, ist für uns alle sehr unangenehm bis sehr schmerzhaft. Noch schmerzhafter ist es, wenn ein Mensch von anderen beschämt wird. Gefühle, die dadurch entstehen, sind kaum zu ertragen. Erfahren und erlittene Beschämungen bleiben in einem Menschen «gespeichert» und können unbewusst an andere weitergegeben werden. Dr. Stephan Marks (Scham – die tabuisierte Emotion) nennt dieses Verhalten «Schamabwehr». D.h. um Schamgefühle nicht mehr zu erleben, werden sie abgewehrt und an andere weitergegeben, in dem diese beschämt werden. Um dieses unerträgliche Gefühl von Scham nicht fühlen zu müssen, werden weniger «unerträgliche» Verhaltensweisen praktiziert.

Abwehrmechanismen

Das, wofür man sich schämt, wird auf andere projiziert.
Um Scham nicht fühlen zu müssen, werden andere beschämt – durch blossstellen, verachten, abwerten, herziehen über andere usw.
Die anderen sollen sich inkompetent fühlen; man zeigt sich durch Unverständlichkeit, intellektualisiert oder wirft mit Fremdwörtern um sich.
keine «schwachen» Gefühle zeigen, dafür äussert man sich meist negativ, sarkastisch oder zynisch.

Die eigenen Selbstwertzweifel soll niemand erkennen, eine Fassade von Arroganz und gespielter Selbstsicherheit wird hochgehalten.
Angriff ist die beste Verteidigung – lieber aktiv als passiv. Gezeigt werden Trotz, Wut, Gewalt- auch verbal.
Man «verschwindet», gibt sich selbst auf und macht sich ganz klein, um nicht beschämt zu werden.

Man verhält sich brav und angepasst, diszipliniert und fleissig; ja nicht auffallen. Dies kann bis zu absolutem Leistungsdenken und Perfektionismus führen.

Wenn es «lebensbedrohlich» ist, bei einem Fehler ertappt zu werden, muss dieser um jeden Preis versteckt werden; z.B. durch Lügen, Ausreden, Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen an andere usw.
Verletzbare Emotionen werden «eingefroren» (in der Fachsprache als emotionale Erstarrung bezeichnet). Dies kann zu chronischer Langeweile, Depressionen und im schlimmsten Fall zu Suizid führen.
Schamgefühle werden oft auch durch Suchtmittel betäubt. Die Scham wird dadurch oft noch verstärkt (ich schäme mich, weil ich trinke und ich trinke, weil ich mich schäme).

Scham in Organisationen

Ein Zusammenleben und Zusammenarbeiten ohne Scham wird es wohl nicht geben. Und es müsste auch nicht Ziel sein, Scham abzuschaffen. Scham kann wertvolle Impulse für die Entwicklung von Menschen, Teams und Organisationen beinhalten.

Als Führungsperson werden Sie es kaum vermeiden können, bei Mitarbeitenden allenfalls auch Schamgefühle auszulösen; z.B. durch eine Rückmeldung, eine Korrektur. Wichtig ist: Führen bedeutet nicht beschämen.

Ein kompetenter Umgang mit Scham innerhalb von Organisationen beinhaltet auch, Rückmeldungen geben zu können, ohne andere zu beschämen. Gelingt es, bewusst «überflüssige» Scham zu vermeiden, ist schon viel gewonnen.

Ein erster Schritt im Umgang mit Scham

Ein erster Schritt zum Verhindern, dass Menschen Scham erfahren und beschämt werden, ist, die eigene Scham wahrnehmen. Wo und wie wurden wir von anderen beschämt und wo bzw. wie beschämen wir andere?
Nehmen wir diese Vorgänge wahr und uns bewusst, können wir diese Mechanismen benennen und verändern.

Praktisch könnte dies heissen:

  • Anerkennung: Jeder Mensch hat das Bedürfnis, gesehen, erkannt, anerkannt, wertgeschätzt und geliebt zu werden.
  • Zugehörigkeit: Vermeidbare Scham kann erspart werden, wenn jemand aufgrund seines Verhaltens nicht als «anders» oder «fremd» markiert wird, sondern ihm Zugehörigkeit vermittelt wird.
  • Schutz: Jeder Mensch braucht einen geschützten Raum, wo er sich sicher fühlen darf und es auch tatsächlich ist.

Quelle: Marks, Stephan, Scham – die tabuisierte Emotion


Scham ist die Hüterin der menschlichen Würde.

(Léon Wurmser)